Klima und Gesellschaft. Die mentale und mediale Veränderung in der Gesellschaft ist unübersehbar.
Klima und Gesellschaft. Der Ton wird lauter, Proteste radikaler, Forderungen ultimativ. Das ist mittlerweile nicht mehr die Artikulation von Kritik und Erwartungshaltung, das ist mittlerweile auch Gewalt.
Legitim oder grenzwertig
Das Demonstrationsrecht ist durch die Verfassung geschützt. Es ist ein Teil unseres Verständnisses von Demokratie und liberaler Gesellschaft. Und dennoch befremdet uns das, was in den letzten Wochen auf unseren Straßen passiert. Islamistische Aktivisten bestreiten protestierend das Recht auf die Existenz des Staates Israel. Bauern aus ganz Deutschland fordern wegen einer Änderung staatlicher Subventionen: die Regierung muss weg. Die Streiks der GDL legen für ganze Tage die Mobilität in Deutschland lahn und treffen so täglich Millionen von arbeitenden Menschen. Hier sollen die Forderungen inhaltlich nicht diskutiert werden, sondern die Form, in der sich Interessengruppen mittlerweile in der Bundesrepublik positionieren.
Von Pegida zum Bauernverband
Als vor Jahren bei Montagsprotesten in den neuen Bundesländern die Kritik an der Regierung mit Hilfe von an Galgen baumelnden Puppen, die die Bundeskanzlerin darstellten, zum Ausdruck kam, war die öffentliche Empörung noch groß. Und nur zu Recht! Heute baumelt an fast jedem zweiten Traktor bei den Bauernprotesten eine Ampel am Galgen, die Ampel „muss weg“! Und die öffentliche Erregung? Gibt es nicht! Es scheint, als sei die symbolische Hinrichtung einer gewählten Regierung und die Forderung der sofortigen „Ablösung“ des dahinter stehenden Personals aus Gründen der Diskussion über Subventionen ein völlig normaler politischer Vorgang. Die GDL fordert Einkommenserhöhungen in beträchtlicher Form und stellt dabei klar, dass man gar nicht „verhandeln“ wolle, sondern mit den Streiks erst aufhöre, wenn alle Forderungen „restlos“ erfüllt werden. Auch der Bauernpräsident macht klar: alle Kürzungen müssen weg, alle! Man fordert Gespräche, lässt die Gegenseite aber gar nicht zu Wort kommen. Ist das Protest?
Politische Unkultur
Was ist passiert? In der Demokratie ist Politik immer ein Prozess der Auseinandersetzung mit Bildung eines Kompromisses. In der Bundesrepublik der Gegenwart scheint sich das in eine Art Erpressung des Staates gewandelt zu haben. Haben die Bundesbürger ihr Verständnis von Demokratie verloren? Scheint es mittlerweile legitim, wenn Interessengruppen den Staat erpressen wollen oder unbedenklich deren Bürger zu Alltagsopfern machen? Da wird schon noch nach Interessenlage unterschieden. Wenn Mitglieder der „letzten Generation“ sich auf Straßen festkleben und den Verkehr lahm legen, zum ihren Protest gegen die unzureichende Klimapolitik und ein unterentwickeltes Klima-Bewußtsein der Gesellschaft protestieren, ist schnell die Rede von „Terrorismus“. Dadurch angerichtete finanzielle Schäden werden vor Gericht verhandelt. Wo aber ist der Unterschied zur Verkehrsblockade durch tausende von Traktoren?
Es scheint, als hätten wir unseren politischen Kompass verloren. Auseinandersetzung ist Rede und Gegenrede, eine wertschätzende Sprache, die Achtung der verfassungsrechtlichen Verfahren und vor allem der Menschenwürde. Es ist unerträglich, wenn unliebsame Personen symbolisch an Galgen baumeln. Der Schritt zu psychischer und physischer Gewalt ist dann nämlich nicht weit. Ein Bundesminister darf aus Sicherheitsgründen eine Fähre nicht verlassen, weil der Mob schon an Land auf ihn wartet, Familien von Amtsträgern, oft ehrenamtlichen, werden durch sogenannte „Fackel- und „Abendspaziergänge“ bedroht, die vor deren Wohnungen und Häusern enden. In vielen Fällen folgt dann sogar körperliche Gewalt. Und all dies geschieht im Schutze einer freiheitlichen Demokratie, die als Systemfehler mit latenter Gewalt unterwandert wird.
Politische Strukturen lassen sich ändern. Das sieht unsere Verfassung vor. Das politische Ende einer Regierung wird entweder durch Wahlen herbeigeführt oder durch Vertrauensentzug im Parlament. Alles andere würde das Ende unserer Gesellschaft bedeuten. „Muss weg!“ ist No-Go!